Ehestorf. „Nach dem Agrarium ist es das bisher größte Projekt“, freut sich Stefan Zimmermann, Direktor des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Gemeint ist das Projekt „Königsberger Straße“. Hier soll gleich ein ganzer Straßenzug der Nachkriegszeit entstehen: eine Nissenhütte, eine Tankstelle, eine Ladenzeile, ein Doppelhaus, ein Siedlungshaus, ein Aussiedlerhof und ein Fertighaus als neuer Bautyp. Dazu kommen die typischen Gärten, eine Telefonzelle und Straßenlaternen. „Es ist von bundesweiter Bedeutung“, so Zimmermann. Erstmal wird die Kulturgeschichte der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre in einer umfassenden Ausstellung gezeigt.
Nach dem Kriegsende gab es über zwölf Millionen Flüchtlinge, Vertriebene und Evakuierte und dazu rund zehn Millionen ehemalige Zwangsarbeiter in West-Deutschland, die eine Unterkunft brauchten. Sie und ihre Bauten prägten in den ländlichen Bereichen das dörfliche Bild bald entscheidend mit. So wie beispielsweise in Neu Wulmstorf die Heidesiedlung, an die Andreas Sommer, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Harburg-Buxtehude, erinnert. Sommer, dessen Sparkasse das neue Projekt fördert, freut sich, dass diese Ausstellung nun in Gang kommt. „Sie kommt zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, findet er. Denn in der Sparkasse merke man, dass mit dem Bauboom in der Region viele dieser alten Gebäude verschwinden würden.
Heiner Schönecke, niedersächsischer Landtagsabgeordneter der CDU und Vorsitzender des Fördervereins des Freilichtmuseums, dankt allen Stiftern, dass dieses große Projekt nun angegangen werden kann. „Ohne die Förderer gäbe es das alles nicht“, so Schönecke. Er schlug auch die Brücke zur heutigen Zeit und erinnerte daran, „dass wir diese heutige Flüchtlingsproblematik in Deutschland schon einmal hatten und es geschafft haben.“ Direktor Zimmermann bekräftigte dies. „Wir wollen mit diesem Komplex den Bezug zur Jetztzeit herstellen“, führte er aus. Man müsse sich aber vor Vereinfachungen hüten.
Auch Heinz Lüers, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Sparkasse und Nachbar sowie regelmäßiger Besucher des Freilichtmuseums, freut sich über die neue Ausstellung. Es gehe zum einen um die damalige Integrationsleistung, betonte auch er. Die „Königsberger Straße“ sei aber auch gut für die heutige Generation um vergleichen zu können. „Ich kann jetzt meinen Enkeln zeigen, wie ich damals selbst groß geworden bin.“
Als erstes Gebäude der „Königsberger Straße“ steht schon eine Nissenhütte auf dem Gelände des Freilichtmuseum am Kiekeberg. Die Wellblechhütten, die ursprünglich in den USA im Krieg zur Unterbringung in Gefangenen und Internierten entwickelt wurden, wurden in der britischen und amerikanischen Zonen eingesetzt, um schnell Unterkünfte für die vielen Obdachlosen zu schaffen. In den rund 40 Quadratmeter großen Hütten wohnten oftmals zwei Familien, nur durch eine dünne Wand getrennt. In Hamburg wohnten bis zu 14.000 Menschen in diesen Hütten.
Ein kleineres, weiteres Ausstellungsstück steht am Eingang des Weges zur Nissenhütte zu sehen: Ein Treckwagen aus Bessarabien, mit dem die Familie Bierwag knapp 30.000 Kilometer zurücklegte: Zuerst aus Tarutino in Bessarabien (heute Ukraine) nach Westpreußen im Rahmen der Umsiedlungsaktion der Bessarabiendeutschen durch die Nazis und dann von dort auf der Flucht nach Oerbke im Landkreis Lüneburg.